Untertagebauprojekte der Rüstungsindustrie in Blankenburg

In letzter Minute: Untertage-Baustellen „Porphyr“ und „Turmalin“

Schäffer & Budenberg Magdeburg (Oda-Werke) und die Kurbelwellen GmbH aus Glinde (Klosterwerke GmbH) wollen unter die Erde

Gegen Ende des Krieges gab es auch im Harz an vielfältigen Orten Bestrebungen, einen Teil der deutschen Rüstungsproduktion in neu zu schaffende Stollenanlagen unter die Erde zu bringen. Dies nach dem Beispiel der A4-Raketenproduktion im Kohnstein bei Nordhausen. In Blankenburg waren im letzten Kriegsjahr zwei dieser Untertage-Baustellen im Aufbau, ohne diese zum Abschluss zu bringen.

Das Verlagerungsprojekt der Klosterwerke GmbH („Porphyr“)

Neben Junkers suchten weitere Firmen in der Nordharzregion für ihre kriegswichtige Produktion Schutz vor dem Bombenkrieg, so auch die zum Krupp-Konzern zählende Kurbelwellen GmbH aus Glinde bei Hamburg. Bereits seit Mai 1935 erledigte sie in großem Umfang Rüstungsaufträge und gehörte damit zu den Firmen, die früh die ‚Zeichen der neuen Zeit‘ erkannte. Im März 1944 beschäftigte sie mehr als 5.000 Personen mit der Herstellung von Kurbelwellen für Flugzeug- und Panzermotoren. Offenbar war die Entscheidung zur Dezentralisierung schon vor den auch für die Luftwaffenindustrie verheerenden Bombenangriffen auf Hamburg gefallen.

Laut Firmenbilanz vom 11. Juli 1947 sollte auf „höhere Weisung“ schon 1943 eine Betriebsstätte zur teilweisen Produktionsverlagerung errichtet werden; ein Datum wird nicht genannt. Allerdings dürfte das Projekt erst nach Gründung des Jägerstabes, der die Projekte der Untertageprojekt der Luftwaffe zentral koordinierte, die erforderliche Priorität erhalten haben. Anfang Mai 1944 erteilte das Rüstungslieferungsamt beim Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion dem Hamburger Kurbelwellen-Hersteller die formelle Genehmigung, einen Teil seiner Luftwaffenproduktion nach Blankenburg zu verlegen.

Der Walter-Burchardt-Stollen als Untertageprojekt auserkoren

Untergebracht werden sollte sie in einem teilweise neu zu schaffenden Stollensystem um den Walter-Burchardt-Stollen, der die Grube „Braunesumpf“ bis zur Jahrhundertwende mit der angrenzenden Gießerei verbunden hatte. Von diesem bestehenden Hauptstollen aus wurden rechts und links abzweigend Querstollen in den Eichenberg getrieben mit dem Ziel, im Endausbau eine unterirdische Produktionsfläche von 17.000 bis 20.000 qm zu erreichen. Das Bauvorhaben selbst trug den Decknamen „Porphyr“, der Aufnahmebetrieb wurde zunächst als „Kuha“ für Kurbelwellen Hamburg bezeichnet. Allerdings erschien er den NS-Planern zu durchsichtig, so dass ab April 1944 ausschließlich der Name „Klosterwerke GmbH“ Verwendung fand.

Für die bergmännischen Arbeiten zeichnete die Kruppsche Bergverwaltung Goslar verantwortlich, für die Bauleitung und Koordinierung der Maßnahmen die „Einsatzgruppe IV Kyffhäuser“ der Organisation Todt; sie war auch für die Beschaffung der notwendigen Arbeitskräfte zuständig. Das Reich verpflichtete sich, die gesamten Baukosten samt der Folgekosten für den Umzug nach Blankenburg zu tragen; der Rüstungsbetrieb sollte sie zur späteren Abrechnung auf einem separaten Konto erfassen.

Die unmittelbare Nähe zum Betriebsgelände der Bergbau AG Lothringen führte zu ständigen Reibereien, unter anderem, weil die Rechte des ebenfalls für den Krieg produzierenden Nachbarunternehmens vielfältig beschnitten wurden. Streitpunkte waren die unberechtigte Ablagerung von Abraum und die Beschlagnahme von Unterkünften durch die Klosterwerk GmbH, gegen die sich die Bergbau Lothringen AG vergeblich wehrte.

Das Untertage-Bauprojekt „Turmalin“

Bis zum Beginn der Ausbrucharbeiten diente der Walter-Burchardt-Stollen als Luftschutzstollen für die Belegschaft des Blankenburger Werkes der Bergbau AG Lothringen und des in die Stadt verlagerten Kruppschen Bodewerkes, so dass ein neuer Schutzraum zu schaffen war. Nach mehrmonatigen Streitigkeiten über die Kostenträgerschaft verständigten sich die Parteien, den neuen Luftschutzraum auf dem Grundstück Michaelsteiner Straße 29 in Nachbarschaft des Bergbau AG Lothringen-Werksgeländes einzurichten. Am 6. September 1944 stellte die Firma den Antrag auf Ausnahme vom Bauverbot und begründete die besondere Notwendigkeit unter Verweis auf das Jägerprogramm und dessen Dringlichkeit.

Stollenplan der „Klosterwerke“ in Blankenburg im Harz

Die Arbeiten an dem unterirdischen Stollensystem kamen erheblich langsamer voran als von der „Klosterwerk GmbH“ erhofft. In den Monatsberichten der Bauleitung, die für die Zeitspanne von Oktober 1944 bis Februar 1945 erhalten sind, werden als Grund der Verzögerungen immer wieder Material- und Personalmangel genannt; hinzu kamen geologische Schwierigkeiten beim Ausbau. Bei Kriegsende soll laut OT-Akten die Anlage „Porphyr“ zu etwa zwei Drittel fertiggestellt gewesen sein. Die Klosterwerke GmbH hätte demnach in einigen Bereichen mit dem Einbau der Maschinen begonnen, die Produktion jedoch nicht aufgenommen.

Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene auf der Baustelle „Porphyr“

Seit Beginn der Ausbrucharbeiten waren ständig weitere Arbeitskräfte unterzubringen, darunter zahllose ausländische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aller Herkunft. Seit Mai 1944 entstand daher in und um Blankenburg eine Vielzahl unterschiedlichster Lager, die der Klosterwerk GmbH zuzuordnen sind. Die größte Unterkunft der Organisation Todt hatte deren Bauleitung in den „Lausebergen“ errichtet, wo die Gestapo in 16 Baracken ein Internierungslager für Halbjuden und „jüdisch Versippte“ betrieb. Diese zumeist deutschen Häftlinge waren erheblichen Einschränkungen und vielfach Repressalien ausgesetzt. Drei Insassen wies die Gestapo wegen Missachtung der Lagerordnung in das berüchtigte Zwangsarbeiterlager 21 der Gestapo in Braunschweig-Watenstedt ein. Im September 1944 beschäftigte die Organisation Todt etwa 800 derart ‚Internierte‘ auf der Baustelle „Porphyr“.

Anfang 1945 ging ihre Zahl drastisch zurück, vermutlich eine Folge der vermehrten Zuweisung ausländischer Buchenwald-Häftlinge. Ein Teil der Häftlinge des Lagers „Lauseberge“ wurde anschließend in das nahe Derenburg auf eine Baustelle des Geilenbergstabes dirigiert, wo ein Hydrierwerk entstand. Am 10. April 1945 wurde das Internierungslager aufgelöst; über das Schicksal der letzten etwa 60 Insassen ist nichts bekannt. Im Vorort Michaelstein befand sich das Lager „Waldmühle“, bestehend aus drei Baracken, in denen Einsitzende der Strafanstalt Wolfenbüttel, zumeist Polen und Belgier, untergebracht waren. Der Transport – etwa 550 Personen – soll Wolfenbüttel am 7. Juli 1944 verlassen haben.

Das KZ-Außenkommando der „Klosterwerke GmbH“

Bereits Anfang Juni 1944 stand für die „Porphyr“-Bauleitung fest, auch KZ-Häftlinge einzusetzen; laut Protokoll der Sitzung des Stadtrates von Wolfenbüttel am 5. Juni 1944 wollte die Organisation Todt ursprünglich ungarische Juden in einem Schuppen auf einem städtischen Grundstück an der Weinbergstraße unterbringen, das allerdings an die Militärverwaltung verpachtet war. Die OT konnte eine Freigabe nicht durchsetzen, so dass der Baubevollmächtigte der Rüstungsinspektion Anfang August 1944 von der Bergbau AG Lothringen 7.000 qm an der „Mönchenbreite“ im Stadtteil Oesig für ein KZ-Außenkommando pachtete. Die jährliche Nutzungsentschädigung betrug hundert Reichsmark.

Wenige Wochen später stellte das KZ Buchenwald eine Liste mit 600 Häftlingen zusammen, die nach einer oberflächlichen ärztlichen Untersuchung für den Stollenbau in Blankenburg bestimmt waren. Kurz vor dem Abtransport wurde die Zahl auf 500 herabgesetzt, darunter 369 Belgier. Ursprünglich gehörten sie zu einem Transport von 825 jungen belgischen Widerstandskämpfern, der am 10. August 1944 Buchenwald erreichte.

Kurz nach ihrer Verhaftung waren die „résistants“ aus verschiedenen Gefängnissen Belgiens, die nach dem Durchbruch der Alliierten in der Normandie hastig geräumt wurden, nach Buchenwald abtransportiert worden. Am 23. August 1944 verließ der Transport Buchenwald und erreichte nach etwa dreißigstündiger Eisenbahnfahrt Blankenburg. In Gruppen von je hundert Mann, in Dreierreihen, eskortierten SS-Männer sie zum Lager, nicht mehr als ein stacheldrahtumzäunter Platz.

Bis auf die hölzerne SS-Baracke stand kein Gebäude; die Häftlinge mussten zu ihrer Unterkunft über das gesamte Lagergelände verteilt 45 Rundzelte aufstellen. Sie schliefen auf einer Strohschüttung, die Köpfe zur Außenseite, die Füße zur Mitte. Erste Steinbaracken, von Häftlingen unter der Anleitung deutscher Handwerker gebaut, waren erst Mitte Oktober 1944 „bezugsfertig“. Dort fanden je 33 KZ-Arbeiter in einer „Stube“ mit dreistöckigen hölzernen Bettgestellen Unterkunft.

Am 26. August 1944, dem Tag nach ihrer Ankunft, wurden die Häftlinge in einer Art Sklavenmarkt verschiedenen Baufirmen zugeteilt. Albert van Hoeij, Insasse des Blankenburger Außenkommandos der „Klosterwerke“, erinnert sich: „Wir mussten uns nach der üblichen Methode zum Appell aufstellen. Dann kamen die Meister von verschiedenen Betrieben, um sich ‚Sklaven‘ auszusuchen“. Zum Ort der Zwangsarbeit führt van Hoeij aus: „Haupteinsatz wurde das Auffahren eines Stollensystems im […] Eichenberg, ausgehend von einem alten Tunnel. Dieser diente einst zum Transport von Eisenerz aus der Grube ‚Braunesumpf‘ an der Südseite des Berges zu den Hochöfen in Blankenburg an der Nordseite“.

Ein Großteil der Häftlinge war dem Kommando „G“ zugeteilt, das in Tag- und Nachtschicht im Stollenbau eingesetzt war. Van Hoeij gehörte zunächst zum Kommando „K“ (möglicherweise von KZ), das die Steinbaracken baute und weitere Infrastrukturmaßnahmen leistete, wie die Herstellung der Wasser- und Elektrizitätsversorgung sowie das Entladen von Güterwaggons im nahe gelegenen Bahnhof Regenstein. Die Häftlinge marschierten um sechs Uhr in der Frühe ab und kehrten um 18.00 Uhr zurück. In völlig zerschlissener Kluft legten sie die mehr als elf Kilometer zwischen dem Lager und dem Mundloch des Stollens zurück. Unter strengster SS-Bewachung marschierten sie die Michaelsteiner Straße entlang, vorbei an der Gießerei zur Baustelle, unter den Augen der Einheimischen, die – wie andernorts auch – nach Kriegsende von dem Geschehen zumeist nichts mitbekommen haben wollten.

Mit durchschnittlich etwa 500 Häftlinge war dieses Buchenwald-Außenlager „Porphyr“ belegt; Ende Oktober 1944 wurde es dem neu gegründeten Konzentrationslagerkomplex Mittelbau-Dora zugeordnet. Schwerkranke waren nunmehr ins Revier nach Dora zu überstellen. Ein erster Transport mit 24 Kranken (22 Belgier, ein Deutscher und ein Pole) soll am 23. November 1944 abgegangen sein. Verstorbene brachte die SS anfangs in das Quedlinburger Krematorium, bald jedoch nach Buchenwald und ab Oktober 1944 nach Dora. Im Winter 1944/45, als die Wege unpassierbar waren, ließ die SS die Toten von Mithäftlingen nackt in Gruben am Nordrand des Lagers, außerhalb des Stacheldrahtes, verscharren. Neben der schweren körperlichen Arbeit setzte den Insassen des Außenlagers „Klosterwerke“ der ständige Hunger zu.

Van Hoeij berichtet: „Morgens bekamen wir nichts als ‚Ersatzkaffee‘, dessen einzig Gutes darin bestand, dass wir ein warmes Getränk zu uns nehmen konnten. Mittags wurde Suppe ausgeteilt: immer Kohlsuppe, ohne ein Fettauge oder ein Stück Fleisch, und dazu ein paar Pellkartoffeln“. Abends sah es nicht besser aus. Drei, später sogar vier Häftlinge mussten sich ein hartes Kommissbrot teilen. „Um eine gerechte Verteilung zu garantieren, machte man sich primitive Waagen zum grammgenauen Abwiegen des Brotes. Nach dem Abwiegen wurde noch um die Reihenfolge gelost, in der genommen werden durfte“. In der Anfangszeit gab die SS noch ein wenig Margarine oder Marmelade aus. Aber auch das entfiel bald, so dass sich die Häftlinge zum Überleben mit allem ernährten, was nicht giftig war.

Auch Schäffer & Budenberg will Produktion in den Harz verlagern

Seit Mitte 1943 war der Rüstungsbetrieb Schäffer & Budenberg in Magdeburg immer wieder Ziel alliierter Luftangriffe, so auch in der Nacht vom 21. auf den 22. Januar 1944, bei dem das Werk Schäden erlitt, die das Rüstungskommando Magdeburg hinterher als mittelschwer einstufte. Erhebliche Einbrüche in der Produktion für die Kriegsmarine, insbesondere bei Torpedos, waren die Folge. Von noch größerer Bedeutung dürften Ausfälle in der Belieferung des Mittelwerkes gewesen sein, denn Schäffer & Budenberg stellte etwa 80 % der Sonderventile für die A4-Rakete her. Außerdem sollen Manometer für die A4-Rakete in Magdeburg gefertigt worden sein. Zur Sicherung dieser „kriegswichtigen“ Versorgung stand seit Frühjahr 1944 die Verlagerung des Werkes oder von Teilen auf der Tagesordnung.

Ende Januar 1944 meldete sich die Marineabteilung des Rüstungskommandos Magdeburg bei den Bergämtern Magdeburg, Goslar und Braunschweig, um in Erfahrung zu bringen, ob und in welchem Umfang die Möglichkeit einer Verlegung von Abteilungen des Torpedolieferanten unter Tage bestünde.
Vor allem das Bergamt Goslar sah gute Möglichkeiten, im Harzvorland um Halberstadt die erforderlichen unterirdischen Räume zu schaffen.

Daraufhin fand am 3. März 1944 eine Besichtigungsfahrt in der Region Halberstadt, Blankenburg und Quedlinburg mit Vertretern einiger Magdeburger Rüstungsfirmen und des Rüstungskommandos statt, an der der Harzgeologe Prof. Dahlgrün vom Reichsamt für Bodenforschung teilnahm. Das Kriegstagebuch des Rüstungskommandos verzeichnet, dass die Firmen Krupp Grusonwerk sowie Schäffer & Budenberg noch am selben Tag gefordert hatten, „schnellstens und intensiv an die Schaffung von derartigen unterirdischen Räumen im Kalksandsteingebiet des Hoppelberges und des Regensteins heranzugehen“.

Deckname „Turmalin“ – Untertageprojekt unter dem Regenstein in Blankenburg

Zunächst war beabsichtigt, Schäffer & Budenberg das Gelände um Langenstein zuzuweisen, doch darauf erhob Junkers für sein Großserienwerk Anspruch. Der Flugzeugkonzern hatte in dieser Phase des Krieges das größere Gewicht, Schäffer & Budenberg das Nachsehen. Zum Ausgleich bekam die Firma das Kalksandsteinmassiv unter dem Regenstein bei Blankenburg zugeteilt. Im Endausbau sollte ein unterirdisches Stollensystem von 70.000 qm Fläche entstehen.

Das Verlagerungsvorhaben trug den Decknamen „Turmalin“. Vorbild für die schachbrettartig geplante Anlage war offenbar das im März 1944 begonnene Projekt „Anhydrit“ im Himmelberg bei Woffleben. Im Unterschied dazu entstand das Bauvorhaben im Regenstein allerdings nicht unter SS-Ägide, sondern war ein Projekt der Organisation Todt, der Bauorganisation des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion. Die Baumaßnahmen begannen im Juni 1944; federführend waren die Großdeutsche Schachtbau- und Tiefbohr GmbH und die Nordhäuser Schmidt, Kranz & Co.; weitere baubeteiligte Firmen waren Karl Brandt, August Kalbow, Siemens und Adriani.

Stollenanlage „Turmalin“; die schwarz markierten Stollenbereiche waren bereits hergestellt

Am 15. August 1944 informierte der Produktionsbetrieb den Amtsvorsteher der Reichspostnebenstelle in Blankenburg über den Stand der Dinge. Auf Grundlage eines Verlagerungsbescheides des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion würden „größere Teile eines Magdeburger Industriewerkes unterirdisch in die Nähe von Blankenburg verlegt“.

Der im Aufbau befindliche Verlagerungsbetrieb trug die Firmenbezeichnung „Odawerk“. Den Unterlagen der Stadt Blankenburg ist zu entnehmen, dass die Leitung des Bauvorhabens wieder Baurat Dr. Dach, dem Baubevollmächtigten im Bezirk der Rüstungsinspektion 11b, Abteilung Sonderbauten, oblag und eine Teilinbetriebnahme für Ende 1944 geplant war; dafür würden 2.000 Personen aus Magdeburg abgezogen. Bei voller Belegung rechnete Schäffer & Budenberg mit einer Belegschaft von 3.500 Personen.

Allerdings waren diese Pläne jenseits der Realität der letzten Kriegsmonate. Bis Kriegsende wurde ein Viertel der geplanten Stollengrundfläche ausgebrochen, etwa 18.000 qm, die teilweise nur im Rohzustand bestanden. In einem abgegrenzten Bereich nahm die „Odawerke“ allerdings mit 150 Mitarbeitern die Herstellung von „kleinen, nicht identifizierten Bauteilen“ auf.

Gemeinschaftslager Carl Brandt

Auf der Baustelle der „Odawerke“ waren Anfang 1945 etwa 1.500 bis 2.000 Personen beschäftigt. Allein die bauausführende Firma Brandt bot laut CIOS-Bericht 50 bis 60 Bergleute, 260 deutsche Zivil- und 290 ausländische Arbeitskräfte auf; darunter auch Strafgefangene der Haftanstalt Wolfenbüttel. Das ehemalige Kreisgefängnis befand sich am Tummelplatz in Blankenburg und diente von Juli bis September 1944 der Unterbringung von mehr als 30 Gefangenen des Strafgefängnisses Wolfenbüttel, die die Magdeburger Firma Carl Brandt zu Erd- und Transportarbeiten in den Oda-Werken einsetzte.

Anfang August 1944 erstattete der Generalstaatsanwaltschaft beim OLG Braunschweig an den Reichsminster der Justiz Bericht: „Das Gerichtsgefängnis Blankenburg […] ist einschließlich einer dort untergebrachten Außenarbeitskolonne des Strafgefängnisses Wolfenbüttel durchschnittlich mit 34 Gefangenen belegt. Abgesehen von einigen Hausarbeitern und Arbeitsunfähigen sind sämtliche Insassen mündlicher Weisung des Herrn Ministerialdirektors Dr. Nörr gemäß bei den „Oda-Werken“ in Blankenburg eingesetzt, wo sie mit Stollentreiben und Erdbewegungen beschäftigt werden, einer Arbeit, die der Verlagerung von Rüstungsindustrie dient. Die Einrichtung eines weiteren kriegswichtigen Betriebes ist mithin aus Mangel an Arbeitskräften zur Zeit nicht möglich.“

Für seine anderen, zumeist ausländischen Arbeitskräfte unterhielt Firma Carl Brandt ein eigenes Gemeinschafts-Unterkunft. Das Lager, etwa zwei Kilometer von Blankenburg entfernt, lag in einem tiefen und bewaldeten Tal. Ehemalige Insassen des Lagers berichteten, dass es sich um sechs Barcken gehandelt habe. Einige sprechen von Holz-, andere von Betonbaracken, die anfänglich noch nicht von Stacheldraht umzäunt waren. Erst später habe man das Lager entsprechend gesichert. In dem Lager waren vorwiegend Belgier, Holländer, Franzosen, Sowjetbürger und Polen untergebracht. Ende August 1944 verstärkte ein Transport aus einem Erziehungslager die Belegschaft. Mitte Dezember 1944 reduzierte sich die Zahl der Inassen. Einige von ihnen wurden nach Braunschweig verlegt. Die anderen blieben bis dort bis zur Befreiung.

KZ-Häftlinge für das Projekt „Turmalin“

Noch in der Situation des März 1945 waren auf der Baustelle im Regenstein 485 deutsche, 315 ausländische Arbeiter sowie 400 Häftlinge des eigens eingerichteten KZ-Außenkommandos „Turmalin“ beschäftigt. Sie waren überwiegend rassisch Verfolgte aus dem Auschwitzer Außenlager „Fürstengrube“, Überlebende des Transportes, mit dem im Januar 1945 die knapp 1.300 Häftlinge über Gleiwitz und Mauthausen nach „Dora“ evakuiert worden waren. Anfang Februar 1945, eine Woche nach der Ankunft in Dora, wurden etwa 300 dieser Überlebenden nach Blankenburg verlegt; es kommandierte sie weiterhin der Lagerführer in Fürstengrube, SS-Oberscharführer Max Schmidt. Der Weitertransport per Bahn soll zwei Tage gedauert haben.

Offenbar wurden die Häftlinge zunächst provisorisch in einem zuvor von der Organisation Todt genutzten Gebäudekomplex auf dem Lessingplatz provisorisch in Zelten untergebracht. In seinen Lagermemoiren schreibt der Lagerälteste Hermann Joseph: „Gegen Abend kamen wir im Lager Turmalin an, das inmitten eines hochstämmigen Föhrenwaldes lag. Gleich daneben lag ein schrecklich verwahrlostes Barackenlager für kriegsgefangene russische Offiziere, die in ihren langen Militärmänteln durch den Dreck schlurften, stumm und bleich vor Hunger, kraftlos torkelnd, blind vor allem, was sich vor ihrem Stacheldrahtzaun abspielte“. Vermutlich handelte es sich um die Russen, die in der Gießerei der Bergbau AG Lothringen zwangsarbeiteten.

Joseph beschreibt weiter: „Das Lager Turmalin bestand aus einem gemauerten, hellverputzten doppelgeschossigen Haus mit zwei großen Schlafsälen und mehreren kleinen Zimmern. In einem erdgeschossigen Bau danebenlagen Küche und Speisesaal. Der Gebäudekomplex, der früher den Arbeitskolonnen der Organisation Todt als Unterkunft diente, war nicht umzäunt.

Zweistöckige Metallbetten mit noch gefüllten Strohsäcken standen in den Schlafsälen, Decken lagen herum, es gab Wasserklosetts und einen viel zu kleinen Waschraum, keine Bäder.“ Als erstes mussten die Häftlinge am Tage nach ihrer Ankunft einen Stacheldrahtzaun, „fünfsträngig, zwei Meter hoch, von Kiefer zu Kiefer um den Lagerbereich“ ziehen.

Ein eigenes SS-Häftlingslager für das Projekt „Turmalin“ entsteht

Es wurde ein etwa fünfzigköpfiges Kommando gebildet, das in den kommenden Wochen ein komplettes Häftlingslager errichten musste, sicher nicht nur zur eigenen Unterbringung. Das Gros des Transports jedoch arbeitete im Stollenvortrieb. Wahrscheinlich diente das ehemalige OT-Lager Lessingplatz vorher der Unterbringung auch westeuropäischer Zwangsarbeiter. Denn der Belgier Hermann E., ebenfalls im Tunnelbau, gab im März 1952 zu Protokoll, er sei im Lager der Firma Karl Brandt untergebracht gewesen. Dort habe er beobachtet, dass drei Wochen nach seiner Ankunft die Häftlinge in ihren „blau weiß gestreiften Uniformen“ eintrafen. Er spricht davon, dass – anders als vom Lagerältesten Joseph ausgeführt – man die KZ-Zwangsarbeiter zunächst provisorisch in einigen Baracken seines Lagers untergebracht habe: „Die Personen mussten innerhalb des Lagers selbst Baracken aus Beton bauen. Als diese fertig waren, wurden sie darin untergebracht. Es mögen etwa 15 bis 20 Baracken gewesen sein“.

Hermann E. ergänzt die Angaben Josephs: „Diese Betonbaracken waren gesondert mit einem etwa drei Meter hohen Stacheldrahtzaun umgeben, der abends sogar unter Strom gesetzt wurde. Vier Wachtürme waren für diesen Bereich vorgesehen. Ich kann nicht genau sagen, wann die Verlegung dieser Personen in blauweißer Uniform von den Holz- in die Betonbaracken stattfand“. Das Lager war für 400 Insassen überdimensioniert. Entweder lag die Zahl der KZ-Häftlinge doch höher oder die Unterkünfte sollten später für weiteres Werkspersonal genutzt werden.

Auflösung der KZ-Außenkommandos „Klosterwerke“ und „Odawerke GmbH“ („Turmalin“)

Um den 3. April 1945 dürfte der Lagerführer Johann Mirbeth den Befehl erhalten haben, das Außenkommando der Klosterwerke GmbH („Porphyr“) zu räumen. Als Vorzeichen der bevorstehenden Schließung ließ die SS am 4. April 1945 die 48 Revierkranken des Lagers nach Dora verlegen; zwei überlebten die etwa vierstündige Fahrt nicht. Die 46, die die Fahrt überstanden hatten, zwängte die SS gleich in die überfüllten Waggons des ersten Evakuierungstransportes aus „Dora“, der abfahrbereit nach Bergen-Belsen auf dem Lagerbahnhof stand.

Um den 3. oder 4. April 1945 erhielt auch der SS-Lagerführer Schmidt den Befehl aus „Dora“, sein Außenkommando „Turmalin“ zu räumen. Der Weg ihres Zuges kreuzte sich mit dem der Häftlinge des zweiten Blankenburger Lagers, der „Klosterwerke“. Am 6. April stellte Mirbeth die marschfähigen KZ-Zwangsarbeiter das Lager der „Klosterwerke“ zusammen. Zwanzig Häftlinge, die völlig entkräftet den Strapazen eines solchen Marsches nicht gewachsen gewesen wären, ließ er im Lager zurück. Sie wurden am folgenden Tag zusammen mit den Insassen aus Harzungen in das KZ Beendorf bei Helmstedt geschafft. Lagerführer Mirbeth teilte die Häftlinge in Kolonnen zu je hundert Personen auf; gegen elf Uhr begann der Abmarsch. Wer nicht folgen konnte, wurde von den SS-Bewachern erschossen.

Die Kolonne zog über Halberstadt, Egeln und Ottersleben nach Magdeburg. Am 8. April bei Tagesanbruch wurde die Elbe überquert. Die KZ-Gefangenen marschierten weiter bis zu einem Seitenarm des Flusses, an dessen Ufer das Binnenschiff „Wilma“, ein ehemals holländischer Frachtkahn, lag. Im Laderaum des Kahns drängten sich bereits die Häftlinge des zweiten Blankenburger Außenkommandos „Turmalin“.

Gemeinsam fuhr man sie elbabwärts bis Lauenburg. Um den 10. April erhielten die beide Lagerkommandanten die Mitteilung, dass Neuengamme die Häftlinge nicht mehr aufnehmen könne. Daher nahm der Kahn nunmehr Kurs nach Norden über den Elbe-Lübeck-Kanal in Richtung Ostsee.
Am Abend des 12. April 1945 legte die „Wilma“ in Lübeck an. Den weiteren Weg des doppelten Evakuierungstransports ins Holsteinische bestimmte der aus der Gegend stammende „Turmalin“-Lagerführer Max Schmidt, der nach einer Unterbringung in seiner Heimat suchte. Noch auf dem Marsch über Bad Schwartau, Pohnsdorf, Curau nach Ahrensbök wurden Häftlinge erschossen. Im nächsten Ort Richtung Eutin, Barghorst, trennten sich die Wege.

Das Kommando „Turmalin“ marschierte unter Lagerführer Max Schmidt nach Norden in Richtung Siblin. In einer großen Wellblechscheune etwa einen Kilometer außerhalb der Ortschaft, direkt an der Straße, wurden die Häftlinge einquartiert. Zwanzig, darunter die Mitglieder der Lagerkapelle Auschwitz-Fürstengrube, brachte Max Schmidt auf dem nahen Gut Neu-Glasau unter, dessen Pächter sein Vater war.
Das Kommando der Klosterwerke verließ Barghorst nach Nordwesten und erreichte Gut Glasau am Abend des 13. April. Die SS sperrte die Häftlinge in eine große gemauerte Scheune. Auch in Glasau gab es noch Häftlingsmorde. Nach zweieinhalb Wochen, am Morgen des 30. April, erschien ein schwedischer Rotkreuz-Offizier und erklärte in knappen Worten:

„Alle Belgier, Holländer und Franzosen sind ab heute Nachmittag drei Uhr frei. Dann kommen Lastwagen, um sie nach Schweden zu bringen“. Zur angekündigten Zeit erschienen vier LKWs des Schwedischen Roten Kreuzes und brachten die westeuropäischen Häftlinge nach Lübeck auf die Schiffe „Magdalena“, und „Lillie Matthiesen“, die das Schwedische Rote Kreuz im Rahmen der „Bernadotte-Aktion“ zur Rettung nord- und westeuropäischer Häftlinge aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern gechartert hatte. Die vom Roten Kreuz nicht übernommenen Häftlinge der „Klosterwerke“ sowie die Häftlinge von „Turmalin“ brachen ebenfalls auf. Kranke ließ man zurück, ihr weiteres Schicksal ist unbekannt; vermutlich haben die SS-Bewacher sie erschossen, allerdings lässt sich das nicht belegen.

In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai marschierte das Gros der Häftlinge in Richtung Neustadt und machte in einer alten Gutsscheune nahe Süsel Halt. Am folgenden Morgen erschienen erneut Fahrzeuge des Schwedischen Roten Kreuzes, nahmen weitere Häftlinge auf. Am 2. Mai trafen die übrigen Häftlinge, höchstens 300, in Neustadt ein, wurden mit Barkassen auf die im Hafen liegenden Schiffe der „Häftlingsflotte“ gebracht, 205 auf die „Cap Arcona“, die anderen auf die „Athen“. Am Nachmittag des 3. Mai griffen britische Jagdflugzeuge die „Cap Arcona“ an und schossen sie in Brand, so dass sie zur Todesfalle für die dort zusammengepferchten 4.000 Häftlinge wurde. Unter den wenigen Überlebenden waren auch einige Gefangene aus Blankenburg, so der Pianist und Dirigent Behr.

Die westeuropäischen Häftlinge, die das Schwedische Rote Kreuz befreite, erreichten am Morgen des 2. Mai 1945 trotz der Minengefahr auf der Ostsee unversehrt Trelleborg. Während der Überfahrt starben noch zwei Häftlinge des Kommandos „Klosterwerke“, in Schweden trotz bester medizinischer Versorgung fünf weitere. Der wegen Bauchtyphus in das Krankenhaus von Halmstadt eingewiesene Albert van Hoeij kämpfte zehn Wochen um sein Leben; fünf Wochen war er ohne Bewusstsein. Erst am 12. August 1945 konnte er in seine Heimat nach Belgien zurückkehren. Von den am 25. August 1944 in das Außenkommando der „Klosterwerke“ nach Blankenburg eingewiesenen Belgiern kamen trotz anfänglich gutem Gesundheitszustand und relativ kurzer Haftdauer mehr als 40 % ums Leben.

Das Projekt „Turmalin“ nach 1945

Als die Alliierten Ende April/Anfang Mai 1945 die Anlage der „Odawerke“ inspizierten, entdeckten sie in einigen der für die Produktion vorgesehenen Stollen ein Lager mit Farben, Werkzeugmaschinen und Arbeitsgerät, ferner eine Schmiede und eine Reparaturwerkstatt. Bereits im Februar war der Stollenausbruch wegen Materialmangel nahezu zum Stillstand gekommen; vor allem weil Kohle zur Erzeugung von Dampf und Pressluft fehlte. Das Stollensystem „Turmalin“ wurde nach 1945 für verschiedene Zwecke genutzt, bis die NVA es 1976 zum Munitionslager ausbaute. Heute befindet sich in den Stollen eines der sieben Sanitätsdepots der Bundeswehr.

Schleifung und Demontage der Stollenanlage der „Klosterwerke“ / „Porphyr“

Nach Kriegsende wurde die Stollenanlage im Eichenberg vollständig geräumt. Ob von den „Klosterwerken“ bereits aufgestellte Produktionsmaschinen der Demontage anheimfielen, ist nicht bekannt. Den größten Teil der Baustelleneinrichtung kaufte die Bergbau AG Lothringen; ebenso übernahmen andere Firmen Materialien. Anfänglich war beabsichtigt, die unterirdische Anlage „Porphyr“ durch Sprengung vollkommen zu zerstören. Wegen der beträchtlichen Risiken nahm die sowjetische Militäradministration letztendlich davon Abstand. Ein Bericht über die Liquidation der Militär- und Rüstungsobjekte in der SBZ vom 15. Februar 1949 führt unter Punkt 4 an:

„Die unterirdische Fabrik zur Herstellung von Flugzeugteilen ‚Klosterwerke‘, die sich in unterirdischen Felsstollen mit einer Fläche von 18.000 qm in der Stadt Blankenburg, Land Sachsen-Anhalt, befindet, ist zur weiteren Nutzung nicht geeignet, kann jedoch auch nicht gesprengt werden, wenn man berücksichtigt, dass durch die Stollen dieser Stadt die Hochspannungsleitungen und Hauptabwasserleitungen laufen und oberhalb die Eisenbahnschienen liegen“. Stattdessen entschied sich die SMAD, die Stolleneingänge einbruchsicher zu verschließen.

Bis 2022 ließ das Hochbauamt den Stollen fast vollständig verfüllen. Lediglich ein etwa 50 m langer Stollenbereich blieb als Denkmal und Erinnerungsstätte erhalten.

Quelle: Redaktion, Frank Baranowski

Weitere Informationen zum Thema finden sich auch in dem Buch „Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945“, Artikel-Nr.: 978-3-95966-266-6, Autor: Frank Baranowski, Festeinband 24 x 17 cm, 608 Seiten, 273 Abbildungen, darunter 260 Fotos, 2. ergänzte und überarbeitete Auflage 2017.

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