Zweiter Band zur Verbreitung des Goslarer Stadtrechts erschienen

Neues zur Altertumsgeschichte des Harzes

Neuerscheinung des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde

(derharz) Fünf Jahre Forschung: Die Geschichte der Goslarer Stadtrechtsfamilie muss neu geschrieben werden. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt ein vom Arbeitskreis Rechtsgeschichte des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde über fünf Jahre durchgeführtes Projekt »Stadtrechte, Willküren und Polizeiordnungen« für den gesamten Harzraum. Das Forschungsprojekt wurde vor allem vom Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt und der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz gefördert, so Vorstandsmitglied Dr. Dieter Pötschke, der für die Bände beim Harz-Verein für Geschichte und Altertumskunde verantwortlich zeichnet.

Was wurde durch das Goslarer und Halberstädter Stadtrecht geregelt?

Es ist schon erstaunlich, was unsere Vorfahren im Mittelalter in den Stadtrechten bereits alles regelten. Natürlich ging es zunächst um die Rechte und Pflichten der Kaufleute, Krämer, Bäcker, Fleischer, Schuhmacher sowie der Schmiede und Kürschner, die in Gilden organisiert waren. Sie hatten das Sagen in den Städten, stellten die Ratsmitglieder und bestimmten, was alles in das geltende Stadtrecht aufgenommen wurde. So wurden Strafen verhängt, wenn die Brote und Biermaße zu klein waren. Tuchhändler durften ihr Tuch nur zu Hause schneiden, wenn sie die Standgebühren im Kaufhaus entrichtet hatten. Die Städte schotteten ihre Märkte ab. Außerhalb gebackenes Brot und erzeugtes Fleisch durften nur stark eingeschränkt verkauft werden. Tuchhändler mussten Hosen immer mindestens zu sechs Stück verkaufen. So florierte das einheimische Handwerk.

Etappen der Forschung zur Goslarer Stadtrechtsfamilie

Im Jahre 1969 bereitete der Göttinger Rechtshistoriker Wilhelm Ebel das ältere Goslarer Stadtrecht aus dem Jahre 1330 für den Druck auf. „Jener großartigen, unter den mittelalterlichen Stadtrechten Deutschlands an Umfang (892 Artikel), an Systematik, juristischer Durchdringung und Klarheit kaum ihresgleichen findenden Kodifikation“ – so Ebel. Im Jahre 2013 edierte Dr. Maik Lehmberg das neuere Goslarer Stadtrecht von 1350 in vorbildlicher Weise mit Abschrift und Übersetzung Nun entstand die Frage, ob die 15 von Ebel ins Spiel gebrachten Städte tatsächlich „von Anfang an“ das Goslarer Stadtrecht übernommen hatten.

Band 35 der „Harz-Forschungen“ mit neuen Ergebnissen

Die Forscher unter Leitung von Dr. Dieter Pötschke wurden fündig: Sie entdeckten ein altes, bisher unbekanntes Halberstädter Stadtrecht (1250 – 1400) – ja mit Osterwieck, Halberstadt, Gröningen und Aschersleben sogar eine kleine, von Goslar zunächst unabhängige, eigene Stadtrechtsfamilie. Dieses Recht war aus altem Kaufmannsrecht entstanden und an andere Städte weitergegeben worden. Diese Familie wurde nach der Niederschrift des Goslarer Stadtrechtes von diesem dominiert.

Im Jahre 2017 erschien in den Harz-Forschungen des Harz-Vereins in Kooperation mit dem Geschichtsverein Goslar Band 32, in dem die eng verwandten Stadtrechte von Wernigerode und Goslar systematisch verglichen wurden. Dazu musste das Goslarer Stadtrecht in der Wernigeröder Fassung computergestützt rekonstruiert werden, da die Russische Nationalbibliothek in Petersburg keine Nutzung des Originals zuließ. Die Rote Armee hatte das wertvolle Exemplar im Jahre 1945 als Kriegsbeute von Halberstadt dorthin verbracht. Per Gesetz hat Russland im Gegensatz zu Armenien und Georgien beschlossen, Kriegsbeute nicht mehr zurück zu geben.

Mit dem nun als zweitem Teil des Projekts vorgelegten Band 35 der Harz-Forschungen (396 Seiten mit farbigen Abbildungen) wird zunächst das Privileg König Friedrichs II. für die Reichsstadt Goslar von 1219 von Prof. Michael Scholz rechtlich gewürdigt. Sodann wird der gesamte Goslarer Stadtrechtsraum von Altenburg/Thüringen und Nordhausen über Halberstadt und Osterwieck bis Goslar und Osterode am Harz auf den Prüfstand gestellt. Dabei stellte sich heraus, dass von den etwa 15 in der Literatur genannten Orten der Stadtrechtsfamilie bis zum Jahr 1353 nur drei nachweislich im Besitz des Goslarer Rechts waren, nämlich Goslar selbst sowie Wernigerode und Osterode am Harz.

In Band 35 wird zunächst der Halberstädter Stadtrechtsraum (1250 bis 1400) analysiert, wobei das Stadtbuch von Osterwieck mit über hundert Schöffensprüchen aus Halberstadt die Hauptquelle für das alte, bisher unbekannte Halberstädter Stadtrecht ist. Für Quedlinburg kann bisher nicht nachgewiesen werden, dass es jemals Goslarer Recht besaß. Sodann werden die Städte mit starkem Goslarer Einfluss untersucht: Wernigerode, Osterode am Harz, Altenburg/Thür., Blankenburg, Halberstadt (ab 1400), Nordhausen und Crimmitschau. Stellvertretend für die Entwicklung der Stadtrechte zu den späteren Willküren (Stadtordnungen) werden die von Wernigerode (Bd. 32) und Aschersleben (Bd. 35) erstmals abgedruckt und ausgewertet. Abschließend wird eine Strategie zur schrittweisen Digitalisierung der Rechtsquellen des Halberstadt-Goslarer Stadtrechtsraumes entworfen.

Die vorliegenden Bände beschreiben den Prozess der immer größer werdenden „Regeldichte“ vom Stadtrecht über die Willküren bis hin zur Polizeiordnung im 18. Jahrhundert. Bei seinen Untersuchungen wurde der Arbeitskreis Rechtsgeschichte vom Geschichtsverein Goslar, dem Harz-Verein, von den Städten Aschersleben, Wernigerode und Halberstadt unterstützt. Zahlreiche Stadtarchive, die Landesarchive Sachsen-Anhalt/Magdeburg und Niedersachsen/Wolfenbüttel und vor allem das Stadtarchiv Goslar mussten auf die Zeit vom 13. bis in das 17. Jahrhundert auf Hinweise zu den Stadtrechten durchforstet werden.

Der Arbeitskreis Rechtsgeschichte des Harz-Vereins beabsichtigt, gemeinsam mit Partnern aus Goslar im Herbst 2021 auf einer Tagung in Goslar weitere Ergebnisse des Projektes und die Verbreitung des Goslarer Stadtrechts in Böhmen, Schlesien und südwestlichen Polen durch das Rechtsbuch der Distinctionen vorzustellen und zu diskutieren. Und vielleicht bringt der neue Fund von hunderten von Briefen im Goslarer Rathaus aus dem 15./16. Jahrhundert noch mehr Licht in die Schöffentätigkeit des berühmten Ratsgerichtes von Goslar.

Dieter Pötschke, Wilhelm Brauneder, Gerhard Lingelbach (Hrsg.): Stadtrechte, Willküren und Polizeiordnungen. Band 1: Goslar und Wernigerode (Harz-Forschungen Bd. 32, Lukas Verlag Berlin 2017); Band 2: Der Halberstadt-Wernigeröder Stadtrechtsraum (Harz-Forschungen Bd. 35, Lukas Verlag Berlin 2020). Bezug über den Buchhandel oder www.lukasverlag.com

Quelle und Bildquelle: Harz-Verein für Geschichte und Altertumskunde e.V.

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