Lostplace im Harz: Das Schickert-Werk Bad Lauterberg

Die Schickert-Werke in Bad Lauterberg am Harz

Die Neuansiedlung des Schickert-Werkes zur Herstellung von Wasserstoffperoxyd in Bad Lauterberg bestimmte während der NS-Zeit die Wirtschaftsstruktur der Stadt. Bereits während des Ersten Weltkrieges bestand Interesse an der militärischen Nutzung von Wasserstoffperoxid, doch fehlten noch die Mittel einer großtechnischen Herstellung. Erst in den folgenden Jahren schufen die Elektrochemischen Werke München (EWM) die Voraussetzungen dafür. Der Kieler Chemiker und Ingenieur Dr. Helmut Walter erforschte und erprobte für das Oberkommando der Marine nach neuen Treibstoffen für moderne Triebwerke. Seine Ergebnisse lösten einen wahren Entwicklungsschub aus. Er nutzte den bei der katalytischen Zersetzung von Wasserstoffperoxyd freiwerdenden Sauerstoff zur Verbrennung von Treibstoff und ermöglichte damit der Firma EWM die militärische Nutzung in großem Stil, auf die sie lange Zeit gewartet hatte. Es zeichnete sich bereits frühzeitig ab, dass das Unternehmen die geforderten Mengen an Wasserstoffperoxyd nicht an einem Standort herstellen konnte, zumal neben der Marine auch andere militärische Stellen Interesse bekundeten.

Aufbau der Produktionsstätte im Odertal

Die Schaffung einer weiteren Fabrikationsstätte war unausweichlich. Im Sommer 1938 fiel die Entscheidung für die Gründung einer Niederlassung im Odertal in Bad Lauterberg. Ausschlaggebend für die Ansiedlung in der Harzstadt war die Nähe zu der 1933 gebauten Odertalsperre, die hinreichend Wasser zur Kühlung der Elektrolyse und der Erzeugung von Wasserdampf bereit hielt. Im August 1938 beauftragte die EWM den Architekten Proebst aus Ingolstadt mit der Bauplanung dieser „Anlage Z“ in Bad Lauterberg, die aus fünf identischen, voneinander aber völlig unabhängig arbeitenden Produktionseinheiten bestehen sollte. Am 8. Dezember 1938 wies der Reichsminister der Luftfahrt die Elektrochemischen Werke an, der Ausbau der Fabrik in Lauterberg habe sofort in vollem Umfang zu erfolgen, und ebenfalls sei mit der Projektierung eines zweiten Werkes in Rhumspringe mit fünf Einheiten umgehen zu beginnen. Die rechtlichen Grundlagen schufen die Beteiligten dagegen erst knapp ein Jahr später mit der Unterzeichnung eines „Aufbauvertrages“ am 26. Oktober 1939. Darin verpflichtete sich das Reich, im Odertal bei Bad Lauterberg auf eigene Kosten ein Werk „zur Erzeugung von chemischen Stoffen für den Wehrmachtsbedarf“ zu errichten. Zum Zwecke der Geheimhaltung entschieden sich die EWM im September 1938 zur Gründung der Otto Schickert & Co. KG, die nach außen hin als Betreibergesellschaft des Bad Lauterberger Werkes hin auftrat. So entstand im Odertal eine gigantische Produktionsanlage, die durch die Größe und Architektur der Gebäude einzigartig in der Region blieb. Ende Januar 1941 ging die erste Halle zur Erzeugung von 35%igem Wasserstoffperoxyd samt der zentralen Anlage zur Hochkonzentration der Chemikalie auf 80–85 % in Betrieb.

Die zweite Halle zur Produktion von 35%igem Wasserstoffperoxyd lief im Sommer 1941 an. Der Bau von Halle 3 war im Frühjahr 1942 und von Halle 4 im November 1942 abgeschlossen. Der Aufbau des Chemiewerkes war mit der Inbetriebnahme von Halle 5 im Juni 1944 vollendet. Die komplett vom Reich getragenen Kosten für den Bau der Fabrik in Bad Lauterberg beliefen sich auf 70 Millionen RM. Nach Abschluss der Bauarbeiten standen fünf autarke Fabrikationshallen zur Verfügung. Der in Bad Lauterberg produzierte „T-Stoff“ diente als Treibstoff für Düsen- und Raketenflugzeuge sowie Walter-U-Boote. Zur Zwischenlagerung unterhielt Schickert in der von der Wifo im Kohnstein bei Niedersachswerfen errichteten Stollenanlage ein Depot. In Kammer 27 standen 21 Lagertanks zur Verfügung, die im Herbst 1943 wegen der Verlagerung der Raketenproduktion in den Kohnestein bei Nordhausen geräumt werden mussten.

Schicket Bad Lauterberg beschäftigte im Januar 1943 insgesamt 1.200 Personen. Diese Zahl blieb bis Kriegsende nahezu konstant. Ende 1944 zählte der Betrieb 1.257 Mitarbeiter, daruner zahlreiche ausländische Arbeitskräfte. Darunter 379 Fremdarbeiter (zumeist Italiener) und 131 Ostarbeiter/innen. Sie waren im Gemeinschaftslager Odertal, das aus neun Wohn-, einer Wirtschafts- und Küchen- sowie einer Wasch- und Toilettenbaracke bestand, untergebracht.

Das Schickert-Gelände nach 1945

Zwischen 1979 und 1984 ließ die Eigentümerin, die Industrie-Verwaltungsgesellschaft, die Hallen 1, 2 und 3 sowie die Verfüllstationen und zahlreiche kleinere Gebäude abbrechen. Mit Ausnahme des ehemaligen Verwaltungsbereiches veräußerte sie 1990 das gesamte Grundstück mit den ehemaligen Produktionsgebäuden des Schickert-Werkes zum symbolischen Kaufpreis von einer Deutschen Mark an die Stadt Bad Lauterberg. Der Übergang des verkauften Grundbesitzes erfolgte am 01.07.1990. Zwischen 1990 und 1992 ließ die Stadt die noch verbliebene Gebäudesubstanz dem Erdboden gleichmachen. Mit Ausnahme des Schickert-Verwaltungsgebäudes blieb von dem Werk nur wenig vorhanden. Bis heute wird vor Ort mit keiner Zeile über die frühere Rolle dieses Standorts informiert. Das Verwaltungsgebäude, das direkt an der Hauptstraße liegt, zeugt noch von der damaligen Architektur. Seit 2016 gibt es Planungen, auf dem 110.000 Quadratmeter großen Schickert-Gelände einen Ferienpark mit 117 Ferienhäuser und insgesamt 1.032 Betten zu errichten. Scheinbar zerschlugen sich diese Planungen. Bis heute liegt das Gelände brach.

Quelle: Redaktion

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