Abwurfwaffen aus Osterode: Die Rüstungsbetriebe Oigee und HEMAF

Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit in Osterode am Harz

Harzer Industrie-Geschichte

Obwohl außerhalb der eigentlichen Ballungszentren gelegen, siedelten sich ab 1933 – zumeist staatlich gesteuert – zahlreiche Rüstungsbetriebe in der Harzregion an. Zu ihnen zählte u. a. das „Werk Tanne“ in Clausthal-Zellerfeld, eines der größten Sprengstoffwerke des Deutschen Reiches, die Füllstelle der Dynamit AG in Herzberg („Werk Kiefer“) und das Schickert-Werk in Bad Lauterberg. Die metallverarbeitenden Betriebe des Harzes, wie die beiden Rüstungsschmieden Oigee und HEMAF in Osterode, waren gleichermaßen mit Rüstungsaufträgen ausgelastet.

Die Ansiedlung der Optische Anstalt Oigee im Harz

Ende 1934 ordnete das Reichsluftfahrtministerium (RLM) an, dass die Berliner Firma Optische Anstalt Oigee „aus strategischen Gründen“ einen Teil ihres Betriebes aus Berlin in den Harz zu verlegen habe. Das Unternehmen war schon früh auf Rüstungsaufträge umgestiegen und produzierte vorwiegend für die Luftwaffe, wie Fliegervisiere für den Jäger Arado 68536. Die Werkstätten in Berlin waren vollständig ausgelastet, so dass das Unternehmen – obwohl privatwirtschaftlich betrieben – die staatliche Anweisung erhielt, sich in Osterode mit einer Zweigniederlassung anzusiedeln. Das von Oberingenieur Paul Werner geleitete Unternehmen bezog die Gebäude der Anfang der 1930er Jahre in Konkurs gegangenen Textilfabrik Allwörden & Badendieck. Nach dreimonatiger Umbauzeit nahm Oigee im Juni 1935 die Fabrikation von Zielgeräten (Reflexvisiere) und Abwurfgeräten für die Luftwaffe im Harz auf.

Ende 1935 zählte das „Luftwaffen-Ausstattungswerk“ 96 Mitarbeiter. Ihre Zahl wuchs durch weitere Rüstungsaufträge stetig. Im April 1936 erhielt der Osteroder Zweigbetrieb den Auftrag, Ladeschienen für Bombenabwurfeinrichtungen, die bisher allein bei Rheinmetall in Sömmerda lieferte, nachzubauen. Dies gestaltete sich aber schwieriger als zunächst gedacht. Wegen technischer Probleme gelang es der Oigee zunächst nicht, die vom RLM geforderten Mengen zu liefern. Erschwerend kam hinzu, dass der Betrieb über keine hinreichenden Produktionsmittel verfügte, um die rasch zunehmenden Aufträge in der geforderten Menge und Güte abarbeiten zu können. Der dadurch stark unter Zugzwang stehende Oigee-Firmeninhaber Paul Werner suchte Hilfe beim Waffenkonstrukteur Curt Heber. Er forschte bereits in den 1920er Jahren für die Reichswehr im Verborgenen und arbeitete seit 1934 in seinem eigenen Werk in Neubrandenburg vorwiegend für die Luftwaffe. Die Oigee profitierte nicht nur vom technischen Wissen Hebers, sondern bekam von ihm zunächst – wenn auch nur von begrenzter Dauer – Rüstungsaufträge übertragen.

Zusammenarbeit mit Curt Heber

So stellte die Harzer Niederlassung, nachdem sie Anfang März 1938 aus dem Oigee-Verbund herausgelöst und als Optische und Mechanische Werke (OMW) verselbständigt wurde, neben ihrer bisherigen Produktpalette die von Heber entwickelten Bombenabwurfgeräte und -halterungen in Lizenz her. Ab Mai 1942 mehrten sich die Beanstandungen über die schlechte Qualität der gelieferten Rüstungsgüter, über nicht erfüllte Liefermengen und die Nichteinhaltung von Lieferfristen. Möglicherweise ein Vorwand, um der OMW im August 1942 den Auftrag zur Produktion von Abwurfwaffen zu entziehen und an Curt Heber zu vergeben. Er arbeitete schon während des 1. Weltkrieges gemeinsam mit Heinrich Lübbe, dem Chefkonstrukteur des Flugzeugherstellers Fokker, an der Entwicklung von Maschinengewehren und baute während dieser Zeit enge Beziehungen zum Militär auf.

Von 1922 bis 1925 setzte Heber, inzwischen Betriebsleiter bei Fokker in Amsterdam, seine Rüstungsforschungen im Ausland fort, dies unter Umgehung der Beschränkungen des Versailler Vertrages. Von der Reichswehr war er in dieser Zeit mit der Konstruktion einer verbesserten MG-Steuerung (MG 301) beauftragt worden. Sie wurde in die Maschinen des Typs Fokker D XIII eingebaut, von denen das Reich unter Verletzung der alliierten Abrüstungsbestimmungen hundert Stück orderte. Die Flugzeuge wurden im russischen Lipezk getestet und unter Mitarbeit von Heber weiter verbessert. Nach einem kurzen Gastspiel bei der Rohrbach Metall-Flugzeugbau GmbH gründete Heber im Sommer 1926 in Berlin ein Ingenieurbüro, das ausschließlich für die Reichswehr arbeitete und vorwiegend mit der Erfindung von Abwurfwaffen befasst war, die andere Firmen in Lizenz Hebers nachbauten.

Hitlers Machtergreifung ermutigte Heber im Juli 1933, die von ihm entwickelten Geräte künftig in eigener Regie herzustellen. Er gründete die Firma Curt Heber – Mechanische Werkstätten Berlin-Britz und ließ sich in den leerstehenden Gebäuden der Firma Premag in der Suderoder Str. 31–32 nieder. Schnell erwies sich, dass der Kleinbetrieb nicht in der Lage war, die ständig mehr werdenden Bestellungen der Luftwaffe zu erfüllen. Die Serienproduktion in großen Stückzahlen musste anderenorts mit modernen Maschinen erfolgen. 1934 erwarb Heber mit staatlicher Unterstützung das Gelände einer stillgelegten Kartoffelflockenfabrik in Neubrandenburg und errichtete in kürzester Zeit eine Vielzahl moderner Zweckbauten. Ende 1934 lief in Teilbereichen des neuen Werkes die Produktion von Bombenabwurfgeräten, Lafetten für Flugzeugkanonen und Maschinengewehren mit bis zu 600 Mitarbeitern an; im Folgejahr beschäftigte die Curt Heber GmbH – Mechanische Werkstätten Neubrandenburg (MWN) bereits 1.000 Personen, davon 714 in Neubrandenburg, die übrigen in Berlin-Britz.

Innerhalb weniger Jahre entwickelten sich die Mechanischen Werkstätten zum einflussreichsten Unternehmen der Region. 1937 waren im Betrieb 2.700 Beschäftigte in 36 Gebäuden beschäftigt. Doch das war Heber, der eine weitere Expansion anstrebte, nicht genug. Anfang 1935 verhandelte er mit den Unternehmern Adolf Ruhstrat und Erich Sartorius, Mitgesellschafter der Göttinger Physikalischen Werkstätten (Phywe), über den Ankauf der Firma. Doch zerschlugen sich die Pläne. Allerdings erhielten Sartorius und Ruhstrat im Nachhinein existenzerhaltende Luftwaffen-Aufträge über Abwurfwaffen, die die Göttinger Werkbänke in Heber-Lizenz verließen.

Am 28. Mai 1937 nahm die Gestapo den Industriellen Heber wegen angeblicher Devisenvergehen in Haft und verbrachte ihn ins Untersuchungsgefängnis Moabit. Derartige Anschuldigungen waren Mitte bis Ende der 1930er Jahre gängige Praxis bei der Verfolgung von Kirchenvertretern und Regimekritikern. Allerdings gibt es keinen Hinweis auf ein oppositionelles Verhalten Hebers gegen das Dritte Reich. Möglicherweise gaben Schwierigkeiten mit Parteifunktionären in Neubrandenburg Anlass zu einer genaueren Prüfung seiner internationalen Geschäftsverbindungen. Denkbar ist auch, dass sich das Regime so der marktbeherrschenden Patente Hebers und seines Wissens bemächtigen wollte. Dafür spricht, dass das Reich im Juni 1937 die zum Aufbau seines Neubrandenburger Werkes gewährten staatlichen Darlehen in Höhe von etwa 2,5 Millionen RM kündigte und Heber zur Rückzahlung binnen weniger Tage aufforderte.

Am 7. Juli 1937 blieb Heber – noch immer in Haft – keine andere Wahl, als seine Firmenanteile an die staatseigene Luftfahrtkontor GmbH zu übertragen. Die Höhe des Kaufpreises blieb offen und sollte durch ein späteres Schiedsgericht ermittelt werden. Die Neubrandenburger Firma wurde in Mechanische Werkstätten GmbH umbenannt und in ein Konsortium unter staatlichem Einfluss überführt. Dank seiner Kontakte zum RLM gelang es Heber Ende Mai 1939, nach mehr als 20 Monaten mit nur geringen Unterbrechungen aus der Haft entlassen zu werden. Aber die gegen seine Person gerichteten Vorwürfe waren damit noch lange nicht vom Tisch. Das gegen Heber geführte Strafverfahren wurde erst im Februar 1940 durch den Reichsjustizminister endgültig niedergeschlagen und die vom Sondergericht erkannte Gefängnisstrafe, soweit sie noch nicht verbüßt war, erlassen. In Anschluss an seine Haftentlassung erwarb Heber die Berliner Telefonbaufirma Wilhelm Dauernheim, die mit ca. hundert Personen für die Reichspost arbeitete.

Die Heber Maschinen- und Apparatefabrik (HEMAF) in Osterode

Nach seiner Rehabilitation erwartete Heber für den Verlust des Neubrandenburger Werkes eine Entschädigung in der Größenordnung von 2,5 Millionen Reichsmark. Zur Kompensation bot das Reich den Kauf eines anderen mit Staatsmitteln eingerichteten Rüstungsbetriebes an, wodurch sich weitere Schadensersatzansprüche Hebers erledigen sollten. Offenbar erklärte sich Heber mit diesem Vorschlag einverstanden. Am 11. April 1942 erhielt er vom Reichsminister der Luftfahrt die „Zustimmung das Werk Osterode der Optische und Mechanische Werke Osterode GmbH“ zu erwerben und die Produktion unter der neuen Firma Heber Maschinen- und Apparatefabrik (HEMAF) fortzuführen. Weiter erhielt Heber vom RLM die Anweisung, „das Werk, in welchem ausschließlich Geräte von kriegsentscheidender Bedeutung gefertigt werden, mit größter Beschleunigung auf den (…) angeordneten Fertigungsstand zu bringen“. Gleichzeitig erging die Anweisung, den Werkzeugmaschinenpark zu ergänzen und Baracken für ausländische Arbeiter sowie Kriegsgefangene zu errichten.

Ursprünglich war vorgesehen, Heber die gesamte Fabrikanlage in Osterode zu übertragen und den optischen Produktionsbereich nach Göttingen auf das Gelände der Firma Schneider & Co. in der Goethe-Allee 8a zu verlegen, das durch den Neubau in Weende (später ISCO) frei geworden war. Die Absichten zerschlugen sich. Denn OMW gelang es, unnötige Transporte vorschiebend, eine vollständige Verdrängung zu verhindern. Anfang Oktober 1942 musste die OMW rückwirkend für den Zeitraum seit Juli 1942 den auf die Herstellung von Abwurfgeräten entfallenden Geschäftsbetrieb an die Curt Heber Maschinen-Apparate-Fabrik HEMAF abtreten. Die restlichen 30 % des Firmengeländes und der Produktionsmittel verblieben bei der OMW. Gemäß Kaufvertrag vom 15. Juni 1942 zahlte Heber knapp 475.000 RM für den von ihm erworbenen Werksanteil, musste aber zudem die halbfertigen Abwurfwaffen und vorhandenen Rohstoffe von der OMW zu einem Wert von knapp zwei Millionen RM käuflich erwerben.

Für den Verlust seines Neubrandenburger Betriebes, seiner Berliner Einzelfirma und seiner Patente ein Entschädigungsbetrag stand die Schiedskommission Heber im Juli 1943 einen Betrag von 1,873 Millionen RM zu. Plus zwischenzeitlich aufgelaufener Zinsen ergab sich ein Abfindungsbetrag von knapp über zwei Millionen RM. Auf den zu erwartenden Kaufpreis erhielt Heber bereits im Jahr 1939 eine erste Rate von 450.000 RM, die er vermutlich zum Erwerb der Berliner Telefonbaufirma Wilhelm Dauernheim verwendete. 1941 und 1942 überwiesen die MWN jeweils weitere 100.000 RM. Den Restbetrag von 1,364 Millionen RM zahlten die MWN im April und Mai 1943 an Heber, bekamen ihn aber, genau wie die zuvor erbrachten Entschädigungsleistungen, vom RLM im Dezember 1943 vollständig erstattet.

Heber setzte den erhaltenen Betrag zum größten Teil – zumindest 1,1 Millionen RM – für die Finanzierung der HEMAF ein. Den fehlenden Teil des Kaufpreises für das Osteroder Werk steuerte die Niedersächsische Landesbank bei; damit kreditierte sie einen Auftrag des RLM über die Lieferung von 20.000 Bombenabwurfgeräten, der später wieder annulliert wurde. Im Dezember 1942 standen 969 Personen an den Werkbänken der HEMAF, acht Monate später schon 1.155; mehr als die Hälfte (53 %) von ihnen waren Ausländer. Heber versuchte unentwegt, weitere ausländische Spezialisten und Facharbeiter zu bekommen. Die HEMAF gehörte zu jenen Osteroder Rüstungsunternehmen, die dringender als andere auf gelernte Arbeitskräfte angewiesen waren. In anderen Betrieben sorgte der hohe Automatisierungsgrad dafür, dass der Ausstoß an Kriegsmaterial konstant blieb oder gar ausgeweitet werden konnte, selbst als der Anteil deutscher Fachkräfte zurückging.

Für die Unterbringung seiner Fremdarbeiter ließ Heber zwei Barackenlager bauen. Das aus sechs Mannschaftsbaracken bestehende „Russenlager II“, auch als Lager „Ost“ bezeichnet, entstand im Bereich der „Alten Harzstraße“. Es diente der Aufnahme polnischer und russischer Zwangsrekrutierter. Das Lager „West“ an der Baumhofstraße – zunächst ausschließlich westeuropäischen Fremdarbeitern vorbehalten – bestand aus sieben Wohnbaracken, die sich in vier Reihen hangaufwärts zogen, außerdem, einer Abort- und zwei Waschbaracken. Im August 1943 war der Bau des Westarbeiterlagers noch in vollem Gange, obwohl schon 340 Personen dort hausten. „Aus Mangel an Hilfskräften und zur Schonung deutscher Arbeitskräfte“ setzte Heber Ende Juli 1943 polnische und russische Arbeitskräfte zum Aufbau des Lagers ein. Nach mehr als elfstündiger Arbeit an den Maschinen in Tag- oder Nachtschicht hatten diese „Ostarbeiter“ zusätzlich 2 1/2 Stunden beim weiteren Ausbau des Werkes und der Wohnunterkünfte zu helfen. Wer sich dem „Sondereinsatz“ verweigerte, wurde mit dem Entzug von warmen Essen bestraft. Heber persönlich hatte darüber hinaus den Einsatz von „Russenfrauen“ angeordnet, die sich seiner Ansicht nach „für Erdarbeiten besonders eignet[en]“. Weiter bestimmte er, dass die „anderen Frauen zum Fensterputzen, Barackeninstandhaltung und für alle sonst im Lager anfallenden Arbeiten einzusetzen“ seien.

Außerdem setzte die HEMAF Sträflinge des Osteroder Amtsgerichtsgefängnisses ein. Anders als andere heimische Unternehmer war Heber vorbehaltlos bereit, „geeignete Arbeit ohne Anlernzeit an das Gefängnis zu vergeben“, und sagte im Juni 1944 zu, einen seiner Werkmeister dorthin abzustellen. Anfang Oktober 1944 nahmen 31 Personen des Gerichtsgefängnisses der Stadt Flugzeugabwurfschlösser und Zünder für Fliegerbomben für die HEMAF auseinander. Heber bediente sich seines Lagers bald als ‚Umschlagplatz‘ für Fremdarbeiter. Einige vermittelte er in andere Städte weiter, andere lieh er, mal für kurze Zeit, mal langfristig, an andere Arbeitgeber im Raum Osterode aus. Um mit der Herstellung von Abwurfgeräten nicht in einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit von der Luftwaffe zu geraten, bemühte sich Heber frühzeitig um Rüstungsaufträge anderer Wehrmachtsteile, etwa um die Produktion von Waffen und Visieren, zunächst jedoch ohne größeren Erfolg. Anfang 1944 waren die Aufträge so stark zurückgegangen, dass die Gefahr bestand, nicht mehr benötigte Produktionsflächen an andere, in den Harz strebende Verlagerungsbetriebe abgeben zu müssen. Neben Blaupunkt bekundeten auch Siemens und Telefunken Interesse an Teilen der Werksanlage der HEMAF.

In letzter Minute gelang es Heber, bei der Luftwaffe einen Auftrag über die Entwicklung und Herstellung von Raketenabschussgeräten für das Jägerprogramm einzuwerben. Am 21. Februar 1945 setzte Heber den Sonderausschuss für Bodenfunk davon in Kenntnis, „dass die vor etwa 9 bis 10 Monaten mitgeteilten Kapazitäten längst durch den Hauptausschuss Waffen und die verschiedenen anderen Sonderausschüsse belegt worden sind“. Weiter heißt es: „Darüber hinaus sind durch die von mir entwickelten Raketenabschussgeräte, die unmittelbar an der Front eingesetzt werden, derart Kapazitäten benötigt worden, dass bereits seit 6 Monaten eine Unterbringung ausgeschlossen ist“.

Das KZ-Außenkommando Heber bzw. HEMAF Osterode

Fehlende qualifizierte Arbeitskräfte drohten die Abwicklung des neuen Auftrages zu gefährden. Zur Abwendung dieses Personalengpasses soll sich Heber nach Angaben des damaligen Leiters der Personalabteilung der HEMAF schon Anfang 1944 um die Zuweisung von KZ-Häftlingen bemüht haben. Eine undatierte Anforderungsliste vermutlich aus dieser Zeit nennt einen Bedarf von 50 Männern für den Stahlbau, 25 Werkzeugschlossern und Lehrenbauern, 30 Männern für die Montage und 20 bis 25 Männern für die Versuchsabteilung, die für den „O-Serienbau geheimer Geräte“ geeignet sein sollten. Weiterhin bat Heber um die Zuweisung von drei Männern für die Konstruktionsabteilung und von hundert Maschinenarbeitern. Im Frühjahr 1944 soll laut Aussage eines Zeitzeugen eine SS-Kommission das Westarbeiterlager hinter dem Fabrikgebäude besichtigt und konkrete Anweisungen zur Ausgestaltung zu einem werkseigenen Außenkommando gegeben haben. Nach dem Besuch begann Heber unverzüglich mit dem Bau der KZ-Unterkünfte. Fünf Baracken des Westlagers wurden geräumt und mit einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben.

Zudem waren auf Weisung der SS ein Wachturm und eine besondere Beleuchtungsanlage aufzustellen. Um möglichst viele Häftlinge unterzubringen, ließ der Rüstungsfabrikant dreistöckige Bettgestelle aufstellen, so dass die einzelnen Stuben statt ursprünglich 12 nunmehr 20 bis 24 Personen aufnehmen konnten. Die ersten Häftlinge dürften das Lager Ende September 1944 bezogen haben, wie Forderungslisten der SS belegen, wonach für die bei der HEMAF beschäftigten Häftlinge 80 RM nach Buchenwald zu entrichten waren. Am 1. Oktober zählte das Außenkommando 66 Insassen, doch der Bedarf des Unternehmens an Arbeitskräften war damit bei weitem nicht gedeckt. Am 4. Oktober 1944 stellte Heber erneut einen „Antrag auf Gestellung von 260 Häftlingen“, über den die SS scheinbar kurzfristig entschied. Ende Oktober 1944 war die Zahl der Lagerinsassen durch weitere Buchenwald-Transporte, insbesondere den vom 12. Oktober mit 192 Häftlingen, auf 284 gestiegen. Im Berichtsmonat zahlte der Rüstungszulieferer 11.719,20 RM an die SS; im darauf folgenden Monat Dezember 1944 waren es 43.950,00 RM.

Die aus Buchenwald zugewiesenen KZ-Sklaven waren nur bedingt in der Lage, die geforderte schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Der Krankenstand war im Vergleich zu dem, der ebenfalls bei Heber in großer Zahl tätigen Fremd- und Zwangsarbeiter, doppelt so hoch. Die Häftlinge arbeiteten in zwei Schichten zu je 12 Stunden. Die Fabrikräume waren durch besondere Vorkehrungen gegen Ausbrüche gesichert; an den Eingangstüren waren Wachen postiert. Das ursprünglich zu Buchenwald zählende Lager wurde Ende Oktober 1944, vermutlich wegen des durch die Entwicklung der Fliegerbordrakete gegebenen funktionalen Zusammenhanges, dem KZ Mittelbau unterstellt, baute jedoch weder zum Hauptlager Dora noch zu dem nur wenige Kilometer entfernten Außenlager „Dachs IV“ in Osterode-Petershütte engere Verbindungen auf. Bezugspunkt blieb nach wie vor das KZ Buchenwald, das zunächst weiterhin für die Zuführung neuer Zwangsarbeiter sorgte.

Dora verlegte erstmals Ende Februar 1945 Häftlinge nach Osterode. Im Dezember 1944 und Anfang Januar 1945 ließ der Rüstungsbauer weitere Facharbeiter in Buchenwald mustern, die wenige Tage später in Osterode eintrafen. Ende Februar 1945 kamen 101 Gefangene aus dem KZ Mittelbau-Dora hinzu. Damit dürfte HEMAF zeitweise mehr als 500 KZ-Sklaven in seinem Lager gehalten und im Betrieb ausgebeutet haben. Bis Ende 1944 leitete ein etwa 40 Jahre alter Wehrmachtsoffizier, der sich „ungewöhnlich korrekt“ gegenüber den Gefangenen verhalten haben soll, als Lageraufseher das Außenkommando. Offenbar war er in Ungnade gefallen, als er sich bei der Firmenleitung beschwerte, dass die KZ-Häftlinge die ihnen zustehenden Rationen nicht in vollem Umfang erhielten, und er damit die Forderung verbunden hatte, eine separate Küche für das Lager zu schaffen.

Anfang 1945 wurde das komplette Lagerpersonal durch SS-Leute aus Auschwitz ersetzt. Misshandlungen der Häftlinge waren von da an der Tagesordnung. Lagerinsassen, die im Winter beim Waschen wegen der Kälte ihre Hemden nicht ausziehen wollten, wurden von SS-Bewachern in einen mit eiskaltem Wasser gefüllten Bottich geworfen. Insbesondere der neue Lagerkommandant soll mit unnachgiebiger Härte gegen die Häftlinge vorgegangen sein und wahllos Prügelstrafen vollzogen haben. Trotz Frost und Kälte mussten die nur mit dünner KZ-Kluft bekleideten Häftlinge stundenlang auf dem Appellplatz antreten. Auch die Unterkünfte sollen nur unzureichend beheizt worden sein. All dies potenzierte die allgemeine Entkräftung und führte zu einem weiteren Anstieg der Todeszahlen.

Als alliierte Truppen herannahten, löste die SS das Außenkommando um den 6. April 1945 auf. Die SS teilte die Häftlinge in zwei Gruppen, die, so hieß es, nach Bergen-Belsen geführt werden sollten. Am 10. April 1945, nach viertägigem Fußmarsch, befreiten amerikanische Truppen einen Großteil von ihnen.

Quelle und Bildquelle: Redaktionsbeitrag, Frank Baranowski

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